Protest gegen iranisches Regime
„Ich habe die besten Jahre meines Lebens geopfert“
Es ist eiskalt. Zeinab Bayazidi zittert am ganzen Körper. Ihre Finger sind blutleer, immer mehr Schneeflocken verfangen sich in ihren Haaren. „Lange werde ich es nicht mehr aushalten”, sagt die 39-Jährige Kurdin. Sie trägt nur eine dünne schwarze Jacke und ein buntes Stirnband. Trotz der Kälte hält sie ihr selbstgebasteltes Schild weit in die Höhe. Darauf steht: Free Zeinab Jalalian (englisch: Freiheit für Zeinab Jalalian, eine kurdische Aktivistin).
Wie so oft protestiert Bayazidi für die Rechte von Frauen und Kurdinnen. Heute auf einer Demonstration am Frankfurter Tor in Berlin - anlässlich des Feministischen Kampftages (08. März). Die Stimmung ist friedlich und heiter, tausende Frauen, queere und nicht-binäre Menschen sind gekommen. Nach jeder Rede wird kräftig applaudiert. Dann erklingt ein Ruf:
„Jin, Jiyan, Azadî“ (kurdisch: Frauen, Leben, Freiheit)
„Für mich gibt es keine Grenze.“
Aktivismus spielt schon in Zeinab Bayazidis Kindheit eine Rolle. In der kurdischen Community sind politische Themen allgegenwärtig. Kurdinnen und Kurden sind eine Minderheit in der Türkei, dem Irak und Syrien. Im Iran machen sie rund 10 Prozent der Bevölkerung aus. Trotzdem sind dort etwa die Hälfte der politischen Gefangenen und Hingerichteten Kurden.
Die kurdische Community kämpft seit Jahrzehnten gegen Diskriminierung und für mehr sprachliche und kulturelle Rechte. Kurdische Namen werden beispielsweise von den staatlichen Behörden im Iran nicht anerkannt.
Bayazidi wächst in einer Aktivisten-Familie auf. Ihre beiden Onkel setzten sich für die kurdische Community im Iran ein. Als Zeinab Bayazidi klein ist, werden ihre beiden Onkel dafür von der iranischen Regierung hingerichtet.
Schon als kleines Mädchen verspürt Bayazidi ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Sie fühlt sich als Kurdin diskriminiert und möchte sich für ihre Community einsetzen. „Wenn es anderen schlecht geht, dann geht es mir auch schlecht”, sagt sie. Das will sie verhindern.
In ihrer Jugend wird dieses Gefühl noch stärker, denn sie bemerkt, dass ihre kurdische Identität nicht der einzige Grund ist, warum sie sich anders behandelt fühlt. Zusätzlich ist sie eine Frau, die im Iran bestimmte religiöse Regeln befolgen muss.
„Als Mädchen, muss man, wenn man sieben Jahre alt ist, Kopftücher und Uniformen tragen. Wir sind wie Soldaten, die immer kontrolliert werden.“
Damals fragt sie sich, warum das so ist. In ihrer Jugend bekommt sie darauf keine Antworten. Erst während des Studiums beginnt sie, mehr zu der Geschichte der Kurdinnen und Frauen im Iran zu lesen, freundet sich mit Aktivistinnen an. Langsam versteht sie die Zusammenhänge. Ihrer Meinung nach vermischt sich im Iran Religion mit Politik. „Im Iran wird Religion als Mittel zum Regieren genutzt”, erklärt Bayazidi.
Das möchte sie ändern. „Wenn einem etwas bewusst ist, dann kann man nicht gleichgültig bleiben, sagen, so ist die Situation, aber ich mache nichts”, erzählt sie. Also entschließt sich Bayazidi nach ihrem Studium bei einer Menschenrechtsorganisation zu arbeiten. Unter den schwierigsten Bedingungen organisiert sie geheime Proteste, Veranstaltungen und sammelt Unterschriften für mehr Frauenrechte.
hre Familie hat große Angst um sie. Zeinab Bayazidi kämpft trotzdem weiter für die Freiheit von kurdischen Frauen. Doch statt mehr Freiheit zu erhalten, verliert Bayazidi ihre eigene mit 25 Jahren gänzlich. Sie wird festgenommen und zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Angeblich wegen Beleidigung islamischer Denkschulen und der göttlichen Religion. „Aber es ging darum, dass ich politisch aktiv war“, sagt sie.
“Noch immer denke ich an diese Zeit”, erzählt Bayazidi. „Ich habe die besten Jahre meines Lebens für meinen Aktivismus geopfert”. Sie war im Alter von 25 bis 30 im Gefängnis - in diesen Jahren habe sie vieles verpasst.
Die Zeit im Gefängnis ist für Zeinab Bayazidi schwierig. „Ich habe die iranische Regierung noch einmal anders erlebt, ohne Filter”, erzählt sie. Die Frauen im Gefängnis seien schlecht behandelt worden. Sie hätten weniger Rechte als Männer gehabt, seien teilweise in Hinterzimmern vergewaltigt worden.
Außerdem hätten die Insassen und Insassinnen religiöse Regeln befolgen müssen. Wer sich nicht darangehalten habe, musste Konsequenzen fürchten. So auch Zeinab Bayazidi: „Ich habe nicht gebetet, weil ich nicht religiös war und dann musste ich damit rechnen, dass ich nicht mehr fünf Minuten mit meiner Familie telefonieren darf”, erzählt Bayazidi. Das hat sie aber nicht von ihren Ansichten abgebracht, sondern nur weiter in ihrem Aktivismus bestärkt:
Doch als sie schließlich aus dem Gefängnis entlassen wird, bekommt Bayazidi Morddrohungen. Sie hat Angst um ihr Leben. „Ich konnte nicht mehr in meinem Land bleiben”, erzählt sie. Schweren Herzens verlässt sie daher den Iran und flüchtet nach Berlin.
Hier fühlte sie sich gleich wohl. In Berlin seien viele unterschiedliche Kulturen zu Hause, findet sie. Außerdem hat sie hier einige Freundinnen, mit denen sie sich auch in Deutschland für kurdische Frauen einsetzt. Seit acht Jahren organisiert Bayazidi auch hier Demonstrationen und Kundgebungen - ohne die Gefahr, gefoltert oder vergewaltigt zu werden.
Aktuell unterstützt Bayazidi von Deutschland aus die Proteste gegen die iranische Regierung, die im letzten Jahr durch den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini ausgelöst wurden. Dass seitdem nicht nur im Iran, sondern weltweit Menschen für die Rechte iranischer Frauen auf die Straße gehen, freut Bayazidi. Es ist auch ein persönlicher Erfolg.
„Aber für mich ist die Revolution noch nicht zu Ende”, sagt sie. Die Aktivistinnen im Iran bräuchten weiter Hilfe. Zeinab Bayazidi habe es im Gefängnis immer sehr geholfen, wenn sie von anderen Frauen gehört hat, die sich engagieren und aktiv sind. Das habe ihr Hoffnung und Energie gegeben. Diese möchte sie jetzt weitergeben.