Internet-Aktivismus

„Die Zukunft ist feministisch, vielfältig und inklusiv!“


Internet-Aktivistin Tanja Kollodzieyski, 35, sitzt im Rollstuhl und kämpft für Inklusion. Per Twitter erreicht sie Tausende. Ein Chat über Diskriminierung,  neue Perspektiven und warum Glitzer uns alle rettet. Protokolliert von Fabian Sigurd Severin

Eine Frau lächelt in die Kamera. Sie trägt einen roten Pullover und ein blau-rotes Halstuch. Ihre Haare sind pink gefärbt und von einem weißen Kopftuch halb bedeckt. Darunter trägt sie eine Brille mit schwarz-pinkem Gestell, Nasenpiercing und runde, schwarz-golde Ohrringe. Sie nutzt den Rollstuhl.

Hey Tanja, du engagierst dich seit rund zehn Jahren für Inklusion – mit einem eigenen Blog, aber auch auf den Sozialen Medien, Instagram, Mastodon und Twitter. Du nimmst an Vorträgen teil und hast sogar ein Buch über Ableismus, also Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, geschrieben. Wie kam es zu deinem Engagement?


Ich bin eigentlich keine geborene Aktivistin; dazu bin ich zu ruhig und schüchtern. Aber irgendwer muss für Sichtbarkeit sorgen. Gerade Menschen mit Sprachschwierigkeiten sind in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Weil ich das “volle Paket” mitbringe – sowohl seit meiner Geburt im Rollstuhl sitze als auch Sprachschwierigkeiten habe – habe ich einen gefühlten Trumpf im Ärmel.


Erst wollte ich nur einen Literaturblog starten, denn ich habe Literaturwissenschaften und Germanistik studiert. Dann habe ich mich immer mehr mit Politik beschäftigt und mitbekommen, wie stark behinderte Menschen strukturell diskriminiert werden. 


Kannst du ein paar Beispiele für Ableismus nennen?


Puh, wie viel Zeit hast du? 🙂 Also Ableismus steht für strukturelle und persönliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Dazu zählt aktive Behindertenfeindlichkeit, aber auch ignoriert oder nicht angesprochen werden ist Ableismus. Ein Bahnhof ohne Aufzug, nur mit Treppen ist zum Beispiel ableistisch, oder eine Presseversammlung ohne Dolmetscher oder Dolmetscherin für Gebärdensprache.


Warum werden deiner Meinung nach Menschen mit Behinderung bis heute diskriminiert?


Weil wir ein sogenanntes Sondersystem haben: Es gibt Förderkindergärten, Förderschulen und Werkstätten. Wenn diese Kette nicht aktiv unterbrochen wird, haben Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung kaum Kontakt. Hinzu kommt: Alles, was Menschen nicht kennen, macht Angst. Schnell entstehen Berührungsängste. Und es herrscht immer noch die Vorstellung, dass Behinderungen schlecht sind.


Auf deinem Instagram-Profil bin ich auf diesen Post gestoßen, der mit solchen Berührungsängsten spielt.


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Slidet man nach rechts, kehrst du die negativen Vorurteilen zu positiven Charakteristika um.


Das ist ein Teil meines Aktivismus, immer wieder die Leute abzuholen, wo sie stehen, um dann ihren Blick zu weiten.


Und wie reagieren die Leute darauf?


Sehr empathisch, das liegt aber daran, dass ich nicht die Leute erreiche, die gegen Inklusion sind. In meiner Bubble sind viele schon sehr aufgeklärt. Das ist einerseits gut, andererseits schade, weil ich nicht die erreiche, die ich aufklären will. Um das zu umgehen, nutze ich Inklusion-Mainstreaming. Das heißt, ich schreibe manchmal Beiträge zu Hashtags und Themen, die nichts mit Behinderung zu tun haben.


Wer im Netz eine starke Meinung hat, wird oft schnell angefeindet. Hast du jemals Gegenwind bekommen?


Klar, ich höre immer wieder: “Inklusion ist zu teuer und Luxus. Früher hätte man dich vergast. Sei froh, dass du überhaupt hier bist.”


Das muss verletzend sein. Wie gehst du damit um?


Weitermachen. Darüber diskutiere ich nicht, denn Hass ist keine Meinung.


Allein auf Twitter hast du fast 13 Tausend Follower:innen und über 65.000 Tweets gepostet. Das sind mehr als Donald Trump verfasst hat. 🙂 Warum nutzt du als Aktivistin vor allem die Sozialen Medien?


Weil sie für mich größtenteils barrierefrei sind. Zum Beispiel gibt es keine Sprachbarrieren. So erreiche ich viel mehr Menschen – leider nur nicht so viele wie Trump.


Vermutlich ist das nicht die einzige Grenzen als Internet-Aktivistin im Rollstuhl. Gibt es etwas, was du offline, in der realen Welt, gern mal machen würdest?


Ich würde gern eine große Blockade der Deutschen Bahn organisieren, da sie immer noch keine barrierefreien Fernverkehrszüge kauft. In meiner Fantasie würden wir alle Rollstuhlplätze in Beschlag nehmen und Züge blockieren. In der Realität würden viele, die im Rollstuhl sitzen, aber gar nicht erst hinkommen, da es kaum barrierefreie Bahnen und Busse gibt. Doch Proteste von behinderten Menschen werden sichtbarer. Beim Klimaprotest in Lützerath haben zum Beispiel welche demonstriert, die sich sogar von Brücken abgeseilt haben.


Aber auch dein Aktivismus erzielt in den Sozialen Medien große Reichweiten. Zum Beispiel dein Post zum Weltfrauentag:


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Wir leben im Patriarchat, als Frau wirst du unterdrückt, als Frau mit Behinderung noch viel mehr. Frauen mit Behinderung erleben Statistiken zufolge zwei- bis dreimal häufiger Gewalt als Frauen ohne Behinderung. Außerdem verdienen sie am Arbeitsmarkt weniger als alle anderen Gruppen.

https://www.aktion-mensch.de/inklusion/arbeit/frauen-mit-behinderung-auf-dem-arbeitsmarkt



Hast du das Gefühl, dass du Menschen zum Umdenken bewegen kannst?


Wenn ich ehrlich bin, gelingt es bei Menschen ohne Behinderung nicht unbedingt. Allerdings bekomme ich Rückmeldungen, dass ich Menschen mit Behinderung Mut mache, selbst sichtbarer zu werden, Ableismus wahrzunehmen und eigene Bedürfnisse stärker einzufordern. Darauf bin ich sehr stolz.


Empowerment ist also einer deiner größten Erfolge -- ich vermute aber, dass dein Aktivismus auch Herausforderungen mit sich bringt.


Ein Alltag mit Behinderung braucht immer viel Zeit, egal ob zum Anziehen, Essen oder für andere Aktivitäten. Durch meinen Aktivismus habe ich zwangsweise weniger Zeit zum Abschalten. Ich gehe bewusst über meine körperlichen und mentalen Grenzen hinaus. Außerdem werde ich als Aktivistin immer wieder mit Beleidigungen, aber auch mit Fragen und mit Schicksalen konfrontiert. Das braucht Kraft.


Aber selbst dafür scheinst du ein Wundermittel parat zu haben. Auf deinem Blog schreibst du: “Glitzer rettet uns alle” Warum ist das so? 🙂


Weil Glitzer toll ist 🙂 und viele Farben hat. Er symbolisiert, dass wir alle zusammen viel erreichen können, wenn jede und jeder seine Farbe zeigt.