Queere Staatsfeindin

Reginas Kampf für die Menschenwürde



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Regina Dzugkoeva (41) gilt für den russischen Staat als ausländische Agentin. Das ist ihre Strafe dafür, dass sie sich zusammen mit anderen LGBTQ-Aktivisten der russischen Region Primorje seit acht Jahren für die Akzeptanz queerer Menschen einsetzt. Mit einem humanitären Visum ist sie im Dezember 2022 nach Deutschland gekommen und engagiert sich von hier aus weiter für ihre Organisation. Regina Dzugkoeva hat über ihren Kampf gegen Homophobie und Vorurteile in Russland erzählt. Von Alina Ryazanova
Mein Aktivismus wurde in einer gewaltvollen Umgebung geboren. Ich habe als Kind unter Gewalt in der Familie und als Frau unter häuslicher Gewalt von einem Mann gelitten. Manche sagen: Wenn dein Trauma dich zur Aktivistin gemacht hat, ist es nicht nachhaltig.” In meinem Fall ist es genau umgekehrt. Wenn wir selbst etwas Schreckliches erfahren und es überleben, sind wir fähig, zu verstehen und zu spüren, dass es nicht so sein soll. Man will etwas dagegen tun.

Homophobe Hass-Kampagnen


Richtig aktiv wurde ich 2014: nachdem gegen einen guten Freund von mir, einen homosexuellen Mann und queeren Aktivisten in den Medien gehetzt wurde, weil er in einem Interview über Homophobie berichtete. Ich habe mir davor nicht vorstellen können, dass im 21. Jahrhundert Privatdaten und Fotos einer Person einfach so überall veröffentlicht werden können. Was, wenn jemand ihn nach dieser Hetze geschlagen oder getötet hätte? Ich war schockiert und das hat mich innerlich sehr verändert.


Gesetze gegen queere Menschen in Russland

In Russland werden queere Menschen immer stärker unterdrückt. 2013 hat das russische Parlament die sogenannte Homosexuellen-„Propaganda” verboten. Queeren Menschen, die sich in der Öffentlichkeit bekennen, drohen seitdem laut Gesetz Geldstrafen und sogar Haft, wenn Minderjährige der Propaganda” ausgesetzt werden. Im November 2022 hat das Parlament das Gesetz verschärft. Nun wird die LGBTQ-Propaganda” auch für Erwachsene verboten und damit jegliche Veröffentlichungen zu dem Thema u.a. in Massenmedien, Büchern, Filmen und Werbung.


Plötzlich Aktivistin


Wahrgenommen als Aktivistin und Menschenrechtlerin habe ich mich zum ersten Mal, als ich ein Sportfest für queere Menschen mitorganisiert habe. Diese Aktion hat ein großes Medienecho verursacht. Davor habe ich kleine Treffen, mal ein Picknick, mal eine Selbsthilfegruppe veranstaltet.  

Wir haben die Veranstaltung für September 2015 geplant, ohne zu wissen, dass kurz davor das internationale Wirtschaftsforum-Ost in Wladiwostok stattfindet. Die Medien haben unsere Veranstaltung als Provokation dargestellt und plötzlich haben alle über uns geschrieben und geredet. Irgendjemand startete eine Petition gegen uns.

Ich habe zu der Zeit noch im Bildungsministerium der regionalen Regierung gearbeitet. Niemand wusste, dass ich lesbisch bin, geschweige denn LGBTQ-Aktivistin. Ich hatte Angst, dass Kollegen es erfahren, und große Angst vor Hatern. Es hätte mir genauso wie meinem Freund passieren können, dass mein Name und Gesicht öffentlich werden. Aber unsere Namen blieben geheim.
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Leuchtturm für queere Menschen


Irgendwann haben meine Ex-Freundin und ich uns entschieden, die Organisation Majak” (übersetzt Leuchtturm” - red.) zu gründen. Ich konnte meinen Job bei der Regierung damals noch nicht kündigen und war in keinen Unterlagen erwähnt, damit ich keine Probleme bei der Arbeit bekomme.


Majak

Die Organisation Majak (übersetzt Leuchtturm”) wurde 2015 in Wladiwostok gegründet. Sie bietet queeren Menschen und Frauen, die unter häuslicher Gewalt gelitten haben, rechtliche und sozialpsychologische Unterstützung. Die Aktivistinnen und Aktivisten organisieren Konferenzen, Feste und weitere Veranstaltungen, um über Homosexualität und Frauenrechte aufzuklären, sich gegenseitig zu unterstützen und zu vernetzen.


Zwei Jahre später wurde mir klar, ich kann nicht mehr für den Staat arbeiten. Ich hatte das Gefühl, ich arbeite für den Feind, als wäre es jemand, der gegen mich ist, der mich hasst, der mir und meiner Familie nur das Schlimmste wünscht. Es ist natürlich keine Person, sondern das ganze System. Meine Rolle dort war nicht relevant genug, um etwas global zu verändern. Es fühlte sich an, wie ein Vertrag mit dem Teufel, und ich habe gekündigt.
Eine Frau mit langen, blonden Haaren sitzt vor einem Laptop. Hinter ihr ist eine Präsentation zu sehen, die an die Wand projiziert wird.

Im Visier des Staates


Es gab Zeiten, in denen ich panische Angst hatte. Ich dachte, dass das Zentrum E” (Zentrum zur Extremismusbekämpfung - red.) mich überwacht. Vielleicht war das wirklich so. Ich habe das immer wieder mit meiner Psychotherapeutin besprochen. Irgendwann war für mich glasklar: ich werde trotzdem nicht aufhören. Ich habe mir selbst gesagt: Regina, ja, es gibt Risiken, bist du bereit diese in Kauf zu nehmen? Ja, es wird unangenehm, du muss dich mit der Polizei auseinandersetzen, wirst wahrscheinlich irgendwann verhaftet. Ich habe mich für Aktivismus entschieden. 

Als zum ersten Mal rund 30 Polizisten wie eine Verbrecherbande auf unser LGBTQ-Winterfest Anfang 2017 reinstürmten, waren wir alle trotzdem sehr erschrocken. Der nächste Überfall von der Polizei kam wenige Monate später. Wir wollten bei der 1. Mai-Demonstration mit Luftballons und Regenbogen-Schleifen mitlaufen. Am Treffpunkt warteten die Polizisten schon auf uns. Wir alle wurden in einen Gefangenentransporter geladen und zur Polizeistation gebracht. Die Polizisten wussten selbst nicht so genau, was sie mit uns tun sollten. Danach wurde ich immer wieder zum Verhör vorgeladen. Das hat mich trotzdem nicht demotiviert. Ich wusste: was ich tue, ist richtig.


Fünf junge Menschen posieren an einem pyramidenförmigen Drahtgestell. Es liegt auf einem Hügel vor einem Hafen. Einer der Jugendlichen in schwarzer Lederjacke steht auf dem Gestell und hält eine Regenbogenfahne in den Händen.

„Sie geben Menschen ihre Würde zurück”


Ich denke, der Staat hat sich für uns interessiert, weil so viele Menschen uns gut fanden. Auf Konferenzen haben die allermeisten Besucher uns erlaubt, Fotos von ihnen zu machen und diese auf sozialen Medien zu veröffentlichen. Das hat uns sehr inspiriert, dass sie sich auch offen zeigen.  

Auch wenn Menschen nicht mit Regenbogenflaggen mitmarschieren, in der Situation, wo jemand blutdürstig ist, unterstützen sie das nicht. Wir haben erlebt, wie Besucher zu uns mit ganz vielen Vorurteilen kommen und wie sich ihre Meinung über queere Menschen danach um 180 Grad ändert.

Mir ist in Erinnerung geblieben, wie eine Psychologin sich von der Bühne aus bei uns bedankt und gesagt hat: Sie geben Menschen ihre Würde zurück.” In dem Moment war es für mich nochmal deutlicher, was wir eigentlich tun.

Aktivistin und Staatsfeindin


Als ich und Majak” zu ausländischen Agenten erklärt wurden, war es keine Überraschung. Es war nur eine Frage der Zeit. Ich habe damals so viele Nachrichten mit Unterstützung und so viel Zuspruch bekommen, wie an keinem Geburtstag. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft konnten nichts gegen uns vorweisen und so hat der Staat versucht, mit allen Mitteln unsere Arbeit zu stören. Das ist ihm nicht gelungen. Vielleicht hat es manche Menschen abgeschreckt, sich an uns zu wenden, aber wir arbeiten weiter. Wir sind vor Gericht gegangen, um diesen Entscheidungen zu widersprechen, der Prozess läuft noch.


Ausländische Agenten in Russland

Zu ausländischen Agenten" können in Russland seit 2012 gesellschaftliche Organisationen erklärt werden, die aus dem Ausland finanziell unterstützt werden. In den letzten drei Jahren können auch Privatpersonen den Status Ausländischer Agent” bekommen. Seit Ende 2022 wurde das Gesetz verschärft: nun reicht eine Beeinflussung” aus dem Ausland, um in der öffentlichen Liste der Ausländischen Agenten” zu landen. Im Jahr 2022 wurden Majak und seine Gründerin Regina Dzugkoeva zu ausländischen Agenten erklärt.


Als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, habe ich mich aktiv dagegen geäußert. Eine Woche später hat die Regierung Haftstrafen für Fake News” eingeführt. Das hat mich gebremst und ich habe kurz über Risiken nachgedacht. Mir war bewusst, dass ich im Gefängnis landen kann. Ich war dazu bereit, aber irgendwann habe ich realisiert, dass es dort noch schwieriger sein wird, die Situation zu beeinflussen. Im April 2022 musste ich Russland verlassen. Majak hat noch viele Veranstaltungen vor Ort organisiert, aktuell machen wir es aus Sicherheitsgründen nur online.

„Ich habe ein ganz anderes Weltbild”


Aktivistin zu sein ist meine Mission. Kennen Sie es, wenn etwas Ihrem Leben Sinn gibt? Der Aktivismus ist ein Teil von mir, der tatsächlich allgegenwärtig ist. Das bedeutet für mich auch, ich selbst zu sein und meinen Werten treu zu bleiben. Das sind Gewaltlosigkeit, Entwicklung und Akzeptanz aller Menschen. So schmerzhaft es auch sein kann, das ist mir wichtig. All die Schwierigkeiten haben mich und mein Team nur stärker gemacht.  

Aktivismus hat mein Leben verändert. Früher dachte ich, alle, die gegen Putin sind, sind schlechte Menschen. Meine Welt war schwarz-weiß und alles, was mich beschäftigt hat, war die Frage, wofür ich einen Kredit aufnehmen könnte. Ich habe nun ein ganz anderes Weltbild. Ich bin überzeugt, dass unsere Arbeit richtig ist, und dass Russland sich ändern wird. Daran führt kein Weg vorbei.