Aktivismus und Gemeinschaft

Better together


Eine einzige Person kann kaum gesellschaftliche Veränderung herbeiführen. Dazu braucht es eine Gruppe. Wie wichtig ist die Gemeinschaft für den eigenen Aktivismus? Fünf Frauen erzählen von ihren Erfahrungen. Von Felina Czycykowski

In der Soziologie bezeichnet man eine Bewegung, bei der eine Gruppe gemeinsam aktiv wird, als social movement. Oft gibt eine einzelne Person den Anstoß und um die Idee gründet sich eine Gemeinschaft. Dabei verfolgt der Aktivismus immer Ziele, die eine Gruppe vereinen können. Beim Aktivismus wollen Gruppen an die Politik oder an die Gesellschaft appellieren, um deren Verhalten zu verändern, sagt der Psychologe Henning Peters. „In dem Moment, wo ich versuche, größere Institutionen oder Gesellschaften zu verändern, erzeuge ich immer eine Art Reibung. Und das macht Aktivismus eben häufig anstrengend und unterschwellig.“ Umso stärkender wirkt in diesem Moment eine Gemeinschaft. Wie es ist ein Teil davon zu sein, hat auch Judith Beadle erlebt. Sie engagiert sich bei der Letzten Generation: 



Ich habe Menschen getroffen, die genauso denken wie ich. Man kommt in eine Gemeinschaft von Leuten, bei denen das Wichtigste im Leben dasselbe ist, wie bei einem selbst. Es ist ein tolles Gefühl.
Judith Beadle, Letzte Generation



Der Kulturwissenschaftler Peter Ullrich hält das Gemeinschaftserlebnis für eine wichtige Ressource für Proteste. Solidarität kann stärken, auch bei übermächtigen Gegnern. Die katholische Kirche zum Beispiel wird seit 2000 Jahren ausschließlich von Männern geführt Pastoren, Bischöfe, Päpste. Die feministische Kirchenbewegung Maria 2.0 möchte das ändern. Eine der Aktivistinnen ist Gerhild Pinkvoß-Müller. Statt aus der Kirche auszutreten, will sie ihre Glaubensgemeinschaft von innen reformieren – ein Kraftakt. Manchmal hegt sie Zweifel, aber:



„Solange ich das Ziel habe, solange ich eine Gemeinschaft habe, die mich aus dem Glauben stärkt, kriegt man mich, kriegt man Maria 2.0 nicht tot.“
Gerhild Pinkvoss-Müller, Maria 2.0



Sabrina Kollmorgen ist Vollzeitaktivistin und Querdenkerin. Sie setzt sich für Impfgeschädigte ein. Auch sie kennt das beschwingende Gefühl, das eine Gruppe hervorruft. Und: wenn man unter Gleichgesinnten ist, fühlt man sich in seiner Weltanschauung bestätigt. 



„Wir haben die gleiche Einstellung, wir haben den gleichen Wissensstand, wir tauschen uns gegenseitig aus und wir unterstützen uns. Einer profitiert vom anderen und das ist das Allerwichtigste. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Man kann sich tatsächlich blind auf diese Menschen verlassen.“
Sabrina Kollmorgen, Querdenkerin



Bewegen sich Menschen nur noch in isolierten Gruppen lauter Gleichgesinnter, sind sie andauernd Meinungen ausgesetzt, die ihre eigenen widerspiegeln. Alle Menschen haben eine eigene Perspektive im Leben, die man im Diskurs mit anderen dann aber erweitert. Isolierte Gruppen können das nicht, ihre Ansichten verstärken sich in der Folge. So schildert es der Psychologe Henning Peters. 

Diese Gefahr sieht auch Anja Köhne. Sie ist Teil von Scientists For Future: 




„Gruppen haben immer zwei Seiten. Sie können einengen, sie können mitreißen, sie können negative Gruppendynamik entfalten, es kann aber auch eine positive Gruppendynamik entstehen.“
Anja Köhne, Scientists For Future



Wer zu viel macht, kann sich selbst schaden. Activism burnout ist das Ergebnis emotionaler und physischer Belastung, gepaart mit vielen Aktionen und dem ständigen Druck, nie genug zu bewirken. Zwar gibt es noch keine offiziellen Zahlen, die das Ausmaß aufzeigen, aber auch die Aktivistin Luzie Heidemann kennt dieses Phänomen. Sie engagiert sich bei Parents For Future. 



„Eigene Grenzen kennenzulernen, Grenzen aufzuziehen, auch mal Nein zu sagen, sich auch mal rauszuziehen, obwohl alles so wahnsinnig wichtig ist. Das fällt vielen Menschen schwer.“
Luzie Heidemann, Parents For Future



Sie sagt aber auch:




„Mit Menschen gemeinsam aktiv zu werden, gibt einem unglaublich viel Energie. Es ist nicht nur nicht nur schwer und anstrengend, sondern es macht auch total viel Spaß.“
Luzie Heidemann, Parents For Future



Trotz aller Risiken sieht der Psychologe Henning Peters in Gruppenzugehörigkeit einen entscheidenden Faktor, der Aktivistinnen voranbringt: „Im Aktivismus spielt ein Gefühl von Wirksamkeit auch eine große Rolle: Dass ich das Gefühl habe, gemeinsam mit meiner Gruppe viel zu erreichen und Veränderung tatsächlich hervorzurufen.“

Mehr über die Aktivistinnen: