Frauen im Aktivismus

Wie es ist, als Frau im Aktivismus zu sein


Wer Aktivist ist, muss einstecken können. Wer Aktivistin ist, noch mehr. Trotzdem sind Frauen in politischen Bewegungen heute viel präsenter als früher. Hier erzählen sie, welche Erfahrungen sie dabei machen. Von Marie Steffens

Sie provozieren, blockieren und protestieren: Frauen setzten sich für ganz unterschiedliche Themen ein – in der Klimabewegung, im Tierschutz, Frauenrechtsbewegungen, aber auch in der Querdenken-Szene. 

Dabei werden sie immer präsenter, sagt der Kulturwissenschaftler Peter Ullrich. „Es gab Zeiten, in denen es extrem mutig war als Frau eine herausgehobene Rolle zu übernehmen. Heute ist das relativ normal”. Frauen sind Gesichter von Protestbewegungen, werden zu Talkshows eingeladen und in politischen Debatten befragt. Aktivistinnen wie Greta Thunberg gelten als Vorbilder. In einer Studie von 2018 gaben etwa 40 Prozent der Menschen auf Fridays for Future-Demonstrationen an, dass die Schwedin sie in ihrem Aktivismus beeinflusst hat. Darunter auch viele Frauen - die Klimabewegung besteht zu einem großen Teil aus weiblichen und queeren Menschen.  

Aber werden Aktivistinnen jetzt anders wahrgenommen oder behandelt, nur weil sie präsenter sind? Wie ist es heutzutage als Frau aktivistisch zu sein? Das verraten sechs Aktivistinnen, die sich für ganz unterschiedliche Dinge einsetzen.  

Eine Frau mit langen, braunen Haaren und knallroter Jacke blickt in die Kamera. Im Hintergrund ist unscharf das Brandenburger Tor zu erkennen. Vor ihrer Brust trägt die Frau ein Schild mit dem Porträt von Julian Assange und dem Text: Life imprisonment for publishing war crimes?
Raja kämpft seit einem Jahr für die Freilassung von Julian Assange, dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Für die 33-Jährige mache es dabei keinen Unterschied, dass sie eine Frau ist. Ihre Gruppe besteht aus Frauen und Männern. Sie habe sich immer wahrgenommen und gleichberechtigt gefühlt.



Mir hat noch niemand gesagt, du kannst das nicht, weil du eine Frau bist.“
Raja, #FreeAssange



Tanja Kollodzieyski sieht das ganz anders. Für Kollodzieyski ist es eine besondere Herausforderung sich als Frau und gleichzeitig als Mensch mit Behinderung zu engagieren.



„Wir leben im Patriarchat. Als Frau wirst du unterdrückt. Als Frau mit Behinderung noch mehr.“
Tanja Kollodzieyski



Eine Frau mit rosa-orangenen Haaren und goldener Brille lächelt in die Kamera. Sie trägt Piercings, einen regenbogenfarbenen Schal und einen lilanen Strickpullover.

Frauen mit Behinderung erleben laut einer Studie vom Bundesfrauenministerium im Jahr 2012 zwei bis drei Mal häufiger Gewalt als Frauen ohne Behinderung. Darauf will Kollodzieyski unter anderem mit ihrem Aktivismus aufmerksam machen.  

Natürlich spielen Probleme, die die patriarchale Gesellschaft mit sich bringt, auch im Aktivismus eine Rolle, so der Kulturwissenschaftler Peter Ullrich. „Es gibt weiterhin Probleme mit den klassischen Strukturen, mit männlichem Dominanzverhalten”. Männer hören sich Studien zufolge meist lieber reden, Aktivistinnen werden inhaltlich weniger ernst genommen und dann auf Körperlichkeit reduziert, so Ullrich.  

Diesen Eindruck hat auch Anja Köhne. Sie engagiert sich bei Scientists For Future, die die globale Klimabewegung unterstützen. Bei der Organisation fühlt sie sich zwar gleichberechtigt, in der Öffentlichkeit sind Frauen im Aktivismus ihrer Meinung nach aber dennoch benachteiligt. 




„Eine Frau, die sich als Aktivistin in die erste Reihe stellt oder auch nur medial in die Öffentlichkeit steht, zieht viele Sprüche auf sich.“
Anja Köhne, Scientists For Future



Laut Anja Köhne verhalten sich viele Menschen gegenüber Aktivistinnen feindlicher als gegenüber Aktivisten. „Aktivisten sind generell die Überbringer schlechter Nachrichten und werden sowohl unbewusst als auch gezielt angefeindet. Bei Frauen komme dann noch Sexismus dazu.



„Das Geschlecht schützt nicht davor, auch ein bisschen härter angegangen zu werden.“
Judith Beadle, Letzte Generation



Das sagt Judith Beadle. Sie ist Teil der Klimabewegung Letzte Generation und blockiert regelmäßig Straßen. Dabei kommt es nicht selten auch zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Passanten.
Eine Frau sitzt mit Jeans, grauer Jacke und orangener Warnweste mitten auf der Straße. Die rechte Hand liegt auf dem Asphalt auf, mit der linken hält sie ein Protestplakat.
Aber Aktivistinnen sind nicht nur Feindseligkeiten ausgesetzt, sondern oft auch einer mehrfachen Belastung. Luzie Heidemann ist Aktivistin bei Parents For Future und hat ein Kind. Mutter und Aktivistin gleichzeitig zu sein, empfindet sie als sehr fordernd



„Es bedeutet mehr Workload und auch ein latent schlechtes Gewissen. Ein Gefühl nirgendwo, in keiner Front, genug zu sein.“
Luzie Heidemann, Parents For Future



Luzie Heidemann fühlt sich oft schlecht gegenüber ihrem Kind. Dabei ist ihr Kind der Grund, warum sie überhaupt aktiv geworden ist. Sie möchte seine Zukunft verbessern. Dafür muss sich Heidemann häufig zwischen ihrer Mutterrolle und ihrem Aktivismus entscheiden. Zum Glück sei sie noch nicht in der Situation, in der sie sich zusätzlich noch um ihre Eltern kümmern muss. „Ich glaube, dann ginge es wirklich nicht mehr”, sagt sie. 

So wie Luzie Heidemann, geht es auch anderen Frauen im Aktivismus, so Peter Ullrich, Kulturwissenschaftler. Das Rollenverständnis, dass Frauen sich mehr sorgen und mehr für andere einsetzen, sei auch im Aktivismus noch präsent und führe zu Problemen. Das würden progressive Bewegungen aber zumindest reflektieren und nach einer Lösung suchen.

Sabrina Kollmorgen ist ebenfalls Mutter. Auch ihr Engagement wirkte sich auf die Beziehung zwischen ihr und ihrem Sohn aus. Die 50-Jährige ist Querdenkerin und Mitglied der Partei „Die Basis”, ihr Sohn war davon überhaupt nicht begeistert. Spuckte sie sogar an. Das sei eine Belastung gewesen.  

Ansonsten machte Kollmorgen aber viele positive Erfahrungen als Aktivistin. Sie fühlte sich nicht anders behandelt, hatte sogar eher das Gefühl, dass Frauen im Aktivismus häufiger vorne mitlaufen:




„Wenn ich mein eigenes Umfeld anschaue, sind Frauen doch schon mehr unterwegs und auch teilweise etwas mutiger.“
Sabrina Kollmorgen, Querdenkerin



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Frauen sagen, sie machen etwas und setzen es dann auch durch, sagt Kollmorgen. Viele Männer sind ihrer Meinung nach etwas zurückhaltender.
Frauen würden generell einen anderen Kampf führen als Männer, sagt Zeinab Bayazidi. Sie setzt sich seit Jahren für die Rechte von Frauen und Kurden ein. Ihrer Meinung nach gibt es einen großen Unterschied bei weiblichem und männlichem Aktivismus.  



„Der Kampf, den Frauen führen, ist ein Kampf gegen Kriege. Kriege, die Männer führen.“
Zeinab Bayazidi



Eine Frau steht auf einem Mittelstreifen. Sie trägt ein Stofftuch, das ihre lockigen Haare zurückhält und eine Brille. Sie hält ein pinkes Schild mit der Aufschrift "FREE Zeinab Jalalian". Sie steht in einer Menschenmenge. Es schneit.
Auch Regina Dzugkoeva kämpft unter anderem gegen den Krieg – den Russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Für ihre Äußerungen musste sie das Land verlassen, weil ihr eine Haftstrafe drohte.  Seit über acht Jahren setzt sich Regina Dzugkoeva für queere Rechte ein und wurde für ihr Engagement auch festgenommenDabei hat sie die Erfahrung gemacht als weibliche Aktivistin anders als Männer von der Polizei behandelt zu werden.  



„Als erwachsene 40-jährige Frau ist es unwahrscheinlicher, Gewalt von der Polizei zu erfahren.“
Regina Dzugkoeva



Als Aktivistin, die in der Öffentlichkeit oft zu sehen und zu hören ist, nimmt sie eine erhöhte Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörde in Kauf. Sichtbar zu sein, als queere Frau, hat für ihren Protest und Engagement gegen Homophobie trotzdem mehr Vorteile und eine wichtige Bedeutung: als lesbische Frau Vorbild für andere queere Menschen zu sein.



„Wir sind für Menschen wie ein Spiegel, den sie brauchen, um zu verstehen, dass auch sie in Ordnung sind.“
Regina Dzugkoeva



Eine Frau mit kurzen orangenen Haaren und je einer Regenbogenfahne auf die Wange gemalt, hält ein Schild in die Kamera. Darauf steht: Orgasm is a Human Right.
„Wenn jemand über mich liest und merkt, dass ich nicht eingeschüchtert bin und über meine sexuelle Orientierung so spreche, als würde ich sagen: ‘Ich habe braune Augen. Dann denkt diese Person vielleicht auch: Ich bin auch okay”. 
Immer mehr Frauen würden sich trauen, sichtbar zu werden. Sogar in der Kirche, sagt Gerhild Pinkvoß-Müller, die als Teil der Bewegung Maria 2.0 die katholische Kirche reformieren will.
Eine Frau mit braunen, lockigen Haaren und schwarzer Brille sitzt vor einem Laptop. Der Tisch ist mit einer Kerze und Blumen geschmückt. Hinter ihr antike Möbel.



„Es gab schon immer rebellische, gläubige Frauen. Mit der Aufdeckung der Missbrauchsfälle ist der Geduldsfaden vieler Frauen geplatzt. Sie sind sichtbarer geworden. Sie wollen mehr als Ehrenämter. Sie wollen dieses männliche, machtorientierte Kirchensystem nicht mehr mittragen.“
Gerhild Pinkvoss-Müller, Maria 2.0



Sechs Frauen. Sechs unterschiedliche Erfahrungen. DEN einen weiblichen Aktivismus scheint aber es nicht zu geben, viel mehr sind es unterschiedliche Erfahrungen, die Frauen im Aktivismus machen. Auch, weil sie ganz unterschiedliche Kämpfe kämpfen.

Mehr über die Aktivistinnen:


Regina Dzugkoeva


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Queere Staatsfeindin

Reginas Kampf für die Menschenwürde



Zeinab Bayazidi


Eine Frau mit braunen, lockigen Haaren und Stirnband aus Stoff blickt in die Kamera. Sie trägt eine dunkelrote Brille und hält ein pinkes Protestschild. Hinter ihr laufen andere Mensche mit Protestbannern.
Für Aktivismus in den Knast

„Ich habe die besten Jahre meines Lebens geopfert“